Kraftort

Heute fuhren wir die 1100 Höhenmeter von Arbi nach Malvaglia in einem Tempo herunter, bei dem Yvonne ausnahmsweise als ausgelieferte Beifahrerin ganz gelassen blieb: Vor uns räumte eine Heuwagenkollone die Strasse leer. Alle von unten kommenden Autos mussten ausweichen und wir konnten im Windschatten gemütlich hinterherzuckeln. 

Dann konnten wir unser Programm abwickeln: im WC unsere Kanister leeren (wir warten immernoch auf die Baugenehmigung für die Zisterne), auf dem "Werkhof" einen für den Transport demolierten Schrank entsorgen, 6 Säcke (à 25 Kg) Putzmörtel kaufen - mehr schafft unser VW-Up bergauf nicht (ohne Stöhnen) - und Einkaufen.

Aber vor dem Einkaufen wollte Yvonne noch in Biasca auf den Kreuzweg zum Wasserfall (Sentiero Santa Petronilla). Unterwegs erzählte sie mir, dass ein befreundeter Pfarrer von diesem Wasserfall als Kraftort geschwärmt habe.

Das wollte ich gern untersuchen: an Ort und Stelle setzte ich mich also ans Wasser mit der Frage: "Und? Was ist hier los?" Wobei die innerliche Formulierung viel weniger barsch war, als sie hier in Buchstaben erscheint. 

Äusserlich vermittelten die verschiedenen Wasserbecken zunächst den Eindruck: Badeanstalt (ohne Geschrei!) - viele nutzten das kühle, klare Nass, um sich in ihm zu erfrischen. In der Nähe tauchte ein Vater mit seinem einjährigen Sohn auf den Schultern langsam in das smaragdgrüne Wasser, verlor aber dann auf dem glatten Felsboden unter Wasser den Halt und rutschte etwas. Genügend allerdings, dass ihm sein Söhnchen von den Schultern rutschte und kopfüber im Wasser landete. Er ergriff ihn behende und die beiden hatten wieder festen Boden unter den Füssen. Es dauerte einen Moment, bis das Söhnchen in erbärmliches Geschrei ausbrach. Aber es dauerte nur noch einen zweiten kleinen Moment, und er guckte verdattert zu Yvonne, die ihm ermunternd zulächelte und ihn auf italienisch zum Helden machte.

Innerlich fand ich dies Becken unter einer "Erquickungsglocke", die jeden, der in sie eintauchen mochte, gesundheitsbejahend umfing. Dabei war nichts gleissendes, sondern eher ein mildes Dämmerlicht (obwohl die frühe Nachmittagssonne für Temperaturen über 30°C sorgte), wie es eher in moorigen Gegenden anzutreffen ist. Aber die dort gewohnte, lastende Schwere fehlte hier. Trotzdem war alles gehalten, würdig, eben heilend.

Selbst die Kastanie, die zwischen Becken und Kapelle alt geworden war, bildete unter ihrer ausladenden bis auf Brusthöhe herunterreichenden Krone eine schützende Kuppel, in deren Schatten eine junge Frau sich hingesetzt hatte und uns vorüberziehen lies.

Kommentare